Seltsame Worte von Prof. Daniel Thürer

AKZENT

Zürich am 19. August: In einer Veranstaltung des Zürcher Europa Instituts spricht der Staatsrechtler Professor Dr. Daniel Thürer zum Thema «Völkerrecht und Landesrecht».

Die Veranstaltung findet fast zur gleichen Stunde statt, da der Bundeskanzlei die zustande gekommene Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» überreicht wird. Deren Befürworter werden von Thürer harsch kritisiert: Der Ausstieg aus der Menschenrechtskonvention werde da wohl nicht bloss von Einzelnen anvisiert.

Dazu konnte man immerhin entgegnen: Der Diskussionsbedarf über die Auslegung – nicht um den Gehalt! – der Europäischen Menschenrechtskonvention resultiert in Wahrheit aus einer Stellungnahme des Direktors des Bundesamtes für Justiz, abgegeben vor rund fünf Jahren in einer Parlamentskommission. Angesichts der heutigen – beim Beitritt zur Konvention nicht im entferntesten voraussehbaren – Auslegung der Konvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei auch der Bundesrat der Meinung, der Beitritt zur Menschenrechtskonvention hätte seinerzeit eigentlich dem obligatorischen Referendum unterstellt werden müssen.

Solch brisante Stellungnahme, abgegeben immerhin im Namen des Bundesrats, weckt in jedem
seriösen Parlamentarier Bedarf nach gründlicher Diskussion. Und niemand muss sich dafür als Verächter der Menschenrechtskonvention bezichtigen und diffamieren lassen. Dies wurde zumindest vom Referenten dem Diskussionsteilnehmer gegenüber auch eingeräumt.

Im Mittelpunkt des Referats von Professor Thürer stand jene ausdrücklich als einzig zeitgemäss gepriesene Praxis, wonach die Fortentwicklung des Rechts vor allem von internationalen Gerichten ausgehe. Der EU-Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurden dabei besonders hervorgehoben. Die frühere Praxis, wonach Recht durch die in der Demokratie als dafür zuständig erklärten Gremien auf nationaler Ebene geschaffen wurde, erfuhr dagegen deutliche Abwertung.

So nachdrücklich die Überlegenheit von internationalem Recht hervorgehoben wurde, so sorgfältig wich Prof. Thürer auch den daraus entstandenen, teils gravierenden Widersprüchen aus.

In der Diskussion konnte einer immerhin angesprochen werden: Einerseits fordern die EU-Befürworter – inklusive Referent Prof. Dr. Daniel Thürer – dezidiert die Unterstellung der Schweiz unter die vom EU-Gerichtshof ausgehende Rechtsentwicklung

Anderseits erwarten die gleichen Kreise, dass sich die Schweiz zu den in der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten Grundsätzen als heute gültigem Völkerrecht vorbehaltlos bekenne. Ausgeklammert wird dabei die Tatsache, dass ausgerechnet der EU-Gerichtshof (dem sich die Schweiz nach Meinung Thürers und der Meinung Bundesberns unterstellen sollte) der EU-Kommission ausdrücklich verboten hat, ihre Unterschrift unter die Europäische Menschenrechtskonvention zu setzen. Denn mit dieser Unterschrift müsste die EU den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (welcher dem Europarat, nicht der EU angegliedert ist) automatisch als oberste, unanfechtbare Gerichtsinstanz in Menschenrechts-Auseinandersetzungen anerkennen. Das aber verbietet der EU-Gerichtshof – stur dem Grundsatz verfallen «Wir dulden keine anderen Gerichte neben uns».

Thürer räumte zunächst ein, dass dieser Tatbestand zutreffe und nicht ganz befriedigend sei. Dann fügte er einen wahrhaft aufsehenerregenden Positionsbezug an: Man müsse die EU begreifen. Diese wichtige Körperschaft könne doch nicht zulassen, dass irgendein Richter zum Beispiel aus Aserbaidschan je über Beschlüsse, die im Rahmen der EU zustande gekommen seien, zu Gericht sitze …

So sagte es Prof. Thürer – damit gleichzeitig zu verstehen gebend, dass das, was nach seiner Meinung der EU nicht zuzumuten sei, die dem Europarat angehörende Schweiz klaglos zu schlucken habe.

Und überhaupt: Wie kommt ein Spezialist in Fragen der Gleichberechtigung, in Fragen des internationalen Rechts, in Fragen des Diskriminierungsverbots dazu, die Qualität, die richterliche Kompetenz eines Richters aus Aserbaidschan aus hohlem Bauch heraus derart abschätzig zu beurteilen?

Ein Glück für Professor Thürer, dass er ein von den Medien und von der Politik hochgeachteter Völkerrechts-Spezialist ist. Wäre er zum Beispiel SVP-Mitglied, hätte er für diese abschätzige Aussage den Aserbaidschanern gegenüber möglicherweise mit einem Rassismus-Verfahren zu rechnen …

von Ulrich Schlüer

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch