«Allein die Armee garantiert Israels Existenz»

Die Sicht eines unabhängigen Arabers
Eine neunköpfige «Schweizerzeit»-Reisegruppe hielt sich Anfang August im Rahmen einer politisch und militärhistorisch ausgerichteten Informationsreise in Israel auf.

Zum Reiseprogramm gehörte ein Treffen mit dem Journalisten Abu Khaled Toameh. Toameh ist Araber, lebt und arbeitet in Israel – nicht in einem den Arabern reservierten Autonomie-Gebiet. Er gehört also zu den rund zwanzig Prozent Arabern, die israelische Staatsbürger sind.

Abu Khaled Toameh bezeichnet sich selbst als Araber, als Moslem und als Israeli, der gleichzeitig auch Palästinenser sei. Seit 33 Jahren arbeite er als palästinensischer Journalist in Israel. Früher gehörte er der Redaktion einer PLO-Zeitung an. Differenzen mit der Chefredaktion veranlassten ihn, sich nur noch als freier, unabhängiger Journalist zu betätigen. Heute ist er Kolumnist mehrerer internationaler Zeitungen – als gesuchter Spezialist zu allen israelisch-palästinensischen Problemen.

Keinerlei Friedenswille

Im Mittelpunkt der Diskussion mit Abu Khaled Toameh stehen all die Friedensprozesse zwischen Israel und den Palästinensern, die in vielen Auflagen angeregt, allesamt aber wieder versandet sind. Würden weitere Initiativen zu Friedensprozessen gestartet, würden – davon ist Toameh überzeugt – auch diese scheitern.

Er nennt zwei Hauptgründe, die Verhandlungserfolge verunmöglichen: Erstens entfalte die palästinensische Führung keinerlei echtes Bemühen um Frieden. Im Gegenteil: Den Palästinensern würde von ihrer politischen Führung von Kindsbeinen an Hass auf Israel systematisch eingeimpft.

Es fehlt an Format

Als noch folgenreicher als das Ausbleiben jeden Einsatzes für Frieden erachtet Toameh den zweiten Hinderungsgrund für Friedensfortschritte – der mit dem Verzicht auf jede Friedensunterstützung allerdings eng verknüpft sei: Aus Sicht Toamehs gibt es in Palästina keine Führungspersönlichkeit, von der jene Autorität ausgehe, welche für die Unterstützung einer friedlichen Entwicklung auch die Öffentlichkeit in Palästina zu gewinnen vermöge. Niemand in Palästina geniesse das Ansehen und zeige den Mut, offen für friedliche Koexistenz mit Israel einzutreten. Wer eine führende Position innehabe, sei überzeugt, sich seine privilegierte Position nur mit sturem Schüren von Hass auf Israel sichern zu können. So sei jeder Versuch, tragfähige Kompromisse zu finden, zum Scheitern verurteilt. Jeder palästinensische Verhandlungsführer agiere immer aus seiner tief im Bewusstsein verankerten Überzeugung, dass ihn selbst geringfügige Konzessionen an die Adresse Israels Amt und allenfalls gar den Kopf kosten könne.

Selbst Jassir Arafat – der bekannteste Führer Palästinas im zwanzigsten Jahrhundert – habe zu Lebzeiten zwar anlässlich von internationalen Auftritten gewisses staatsmännisches Format mittels zurückhaltender, vom internationalen Publikum bereitwillig applaudierter Bereitschaft zu friedensfördernden Kompromissen entwickelt – genauer: berechnend demonstriert. Nach Palästina zurückgekehrt, habe er dieses nur für Wirkung in der Aussenwelt gepflegte Image immer sofort abgelegt.

Solange in Palästina keine Führungspersönlichkeit ihre Autorität zugunsten echten Ausgleiche mit Israel einzusetzen bereit sei, sei Frieden in Nahost nicht erreichbar.

Millionenspenden ertränken Friedensbereitschaft

Indem die Welt als Antwort auf Arafats Forderungen insgesamt Abermillionen an Hilfsgeldern nach Palästina gelenkt hätte, sei im Blick auf dauerhaften Frieden gar nichts erreicht worden. Mit diesen überreichlich fliessenden Mitteln sei eigentlich bloss die in Palästina seit je übel grassierende Korruption finanziert worden.

Worte – keineswegs eines sich bedingungslos für sein Heimatland Israel einsetzenden Juden – Worte eines Arabers, der sich offensichtlich getraut, zum Nahost-Problem persönliche Überzeugungen zu äussern.

Als in höchstem Masse bedenklich bezeichnet Abu Khaled Toameh die Tatsache, dass die Regierung der Palästinenser sich auch jeder Initiative für Friedenserziehung in den Schulen verschliesse. Wer die Jugend zum Hass auf Israel erziehe, wer in allen Einwohnern den Hass auf Israel täglich neu wecke, werde nie zu echtem Frieden in Nahost beitragen – ja, solche «Führer» könnten es sich nicht einmal leisten, an echten Friedensgesprächen teilzunehmen. Millionen Araber, Millionen Muslime seien in diesem Teufelskreis ständiger Aufpeitschung zum Hass gefangen. Daraus entstehe die lähmende Blockade jeglichem Versuch gegenüber, einen Weg zu echtem Frieden in Nahost zu suchen und zu finden.

Wer Frieden wirklich anstrebe, komme nicht umhin, der Bevölkerung die Vorteile friedlicher Entwicklung und die daraus möglich werdende Prosperität des Landes engagiert vorzutragen. Die palästinensische Führung pflege genau das Gegenteil. Und auch vonseiten des Auslands, insbesondere des arabischen Auslands gehe keinerlei echte Bemühung aus, die Palästinenser-Führung von ihrer alle Friedensbemühungen hintertreibenden Politik abzubringen. So wiederhole die palästinensische Führung stereotyp und unermüdlich ihre Bereitschaft, die Juden als Minderheit in einem islamischen Staat in Nahost zu dulden. Dafür seien die Juden gewiss nicht zu gewinnen.

Fatah gegen Hamas

Der tiefe, oft blutige Auswüchse zeigende Konflikt zwischen der das Westjordanland verwaltenden Fatah und der Hamas, die – eine sunnitische Terror-Organisation – im Gazastreifen der Fatah die Herrschaft entrissen hat, paralysiere jede Friedensinitiative zusätzlich. Denn jede noch so zögerliche Bereitschaft der Fatah, mit Israel wenigstens zu einem geordneten Nebeneinander zu kommen, werde von der radikalen Hamas als verräterischer Ausverkauf elementarer palästinensischer Interessen gegeisselt. Und dass die Hamas verbaler Schmähung und Drohung blutige Taten-folgen lassen könne, habe sie in Gaza furchterregend bewiesen.

Als Realist müsse man sich im Blick auf den Nahen und Mittleren Osten heute eingestehen: Es gibt einen einzigen Faktor, der die im übrigen heillos zerstrittenen Muslime eint: Ihre Feindschaft zu Israel – wobei freilich längst nicht jeder arabische Staat bereit sei, verbalen Angriffen auf Israel auch Taten folgen zu lassen. Dennoch: Israel sei und bleibe konfrontiert mit Kräften in seiner unmittelbaren Umgebung, die sein Existenzrecht negieren, die darauf abzielen, Israel als Land zum Verschwinden zu bringen. In ihrem Grundsatzpapier bekenne sich die PLO heute noch zur Forderung, wonach sämtliche Juden, die erst nach dem Fall des Osmanischen Reiches, also nach 1917 in jenes Gebiet eingewandert sind, das von den Arabern als Palästina bezeichnet wird, zur Rückkehr in ihre seinerzeitigen Herkunftsländer gezwungen werden müssten. Angesichts der Aufrechterhaltung solcher Zielsetzung sei die Aussicht auf echten Frieden in Nahost nicht bloss getrübt.

Zweistaaten-Lösung

Wenn zur Zukunft Israels und Palästinas jetzt von einer Zweistaaten-Lösung gesprochen werde, dann müsse man sich bewusst sein: Ohne Friedenswillen beider Seiten, ohne beidseitige Bereitschaft zu friedlicher Koexistenz bringe auch die Zweistaaten-Lösung keinen Frieden.

Israels Existenz – davon ist Toameh überzeugt – hänge weiterhin in allererster Linie davon ab, dass die Überlegenheit der israelischen Armee in Nahost aufrechterhalten werde. Israels Überleben als Staat sei seit seiner Gründung nur gesichert, solange alle seine Nachbarn Israels Armee fürchten. Die Furcht vor Israels militärischer Stärke sei weiterhin der wichtigste – und weitgehend einzige – Stabilitäts-Garant im Nahen Osten.

S.

Das Gespräch fand statt am 5. August 2016 in Jerusalem.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch