«Fall Flaach»

Menschlich oder bürokratisch bewältigen?

Offener Brief an Rechtsprofessor Peter Breitschmid.

Sehr geehrter Herr Professor Breitschmid

Zum Tötungsdelikt am Neujahrstag in Flaach treten Sie in den Medien als Sachverständiger zu Betreuungs- und Vormundschaftsfragen auf. Wohl ohne nähere Kenntnis vom tragischen Geschehen und seiner Vorgeschichte. Ihre pauschale Fürsprache gilt der «professionellen Betreuung» durch Kesb-Exponenten, deren Versagen in Flaach Fassungslosigkeit zurücklässt.

Im «Tages-Anzeiger» (6. Januar 2015) formulieren Sie dazu einen Satz, der im Zürcher Weinland tatsächlich «eingefahren» ist. Er lautet:

«Als der Kinderschutz und die Vormundschaft lokal organisiert waren, kannten die Behörden ihre Problemfälle vielleicht im Durchschnitt etwas besser, dafür traten mit der Zeit Abnützungserscheinungen auf, wenn Gemeindevertreter immer mit den gleichen Leuten zu tun hatten.»

Ist Ihnen, Herr Breitschmid, bewusst, wen genau Sie mit diesem oberflächlichen Pauschalurteil abqualifizieren? Sagen Ihnen vielleicht die beiden Ortsnamen «Humlikon» und «Dürrenäsch» etwas? Es waren – vor über fünf Jahrzehnten – Mitglieder der Landwirtschaftlichen Genossenschaft Humlikon, einem kleinen Dorf sehr nahe bei Flaach, die mit der Swissair-Caravelle in Dürrenäsch abgestürzt sind.

Über vierzig Kinder wurden am gleichen Tag zu Halb- oder Vollwaisen. Kaum eine Familie, die nicht Opfer zu beklagen hatte. Das furchtbare Ereignis erforderte umfassendsten Einsatz der für die Kinder und die Vormundschaften Verantwortlichen in allen umliegenden Dörfern – während Jahren! Da gab es elternlose Kleinkinder, die plötzlich Eigentümer eines verwaisten Bauernhofs waren. Rund fünfundzwanzig Jahre Vormundschaftsarbeit war von den Milizbehörden im Weinland zu leisten – von jenen, die Sie rascher «Abnützungserscheinungen» bezichtigen, wenn längerfristiger Einsatz gefordert wäre. Der Einsatz wurde geleistet – von Milizbehörden, nicht von wohlbesoldeten «Professionellen».

Sie mögen einwenden, über die konkreten Verhältnisse eben nicht im Bild gewesen zu sein. Das entschuldigt Ihre von Ahnungslosigkeit geprägte pauschale Besserwisserei allerdings nicht.

Wir sind gespannt, ob Sie wenigstens die Grösse haben, sich für Ihre vorschnelle, angesichts des Geleisteten beleidigende Abschätzigkeit bei den hochverdienten Mitgliedern der erwähnten Milizbehörden zu entschuldigen.

Ulrich Schlüer


PS: Ich selbst war erst in den Neunzigerjahren Gemeindepräsident von Flaach – als das Unglück der Humliker schon dreissig Jahre zurücklag und die Folgen bewältigt waren. Ich spreche nicht für mich, ich spreche für jene, die damals vorbildliche Arbeit geleistet haben.

Dr. Ulrich Schlüer - info@schluer.ch